Geklingel, Display-Starren, Nacktfotos: „Soll das der Lernort Schule sein?“

Der Einsatz von Handy, Tablets und Konsorten im Schulunterricht klingt doch eigentlich super: Jeder Schüler lernt so schnell und so viel, wie er kann und erledigt seine Aufgaben selbstständig und eigenverantwortlich. Der Lehrer ist nicht mehr der Pauker, sondern ein Moderator. Gruppenarbeiten oder alleine, Videoeinsatz, Rallys, Präsenationen – mit mobilen Endgeräten lässt sich der Unterricht vielfältiger gestälten. Und nebenbei eigenen sich die Schüler Medienkompetenz und damit ein Bewusstsein für den verantwortungsvollen Umgang mit Mobilen Endgeräten an.


Quelle: Youtube-Kanal von RTL2News

Doch das Arbeiten mit mobilen Endgeräten und damit eine konstruktivistische Lerntheorie werden nicht überall euphorisch begrüßt, sondern – gerade von LehrerInnen – durchaus kritisch gesehen. Auch in den Medien werden die im vorigen Beitrag erwähnten Handyverbote an Schulen kontrovers diskutiert. Als Beispiele seinen hier die Kommentare von Trauthig und Eberhardt (2014, Stuttgarter Zeitung Online) sowie die Berichte von Klesmann (2012, Berliner Zeitung Online) und Straush (2013, Sueddeutsche.de) erwähnt.

In den Leserkommentaren der jeweiligen Artikel verteidigen User, offensichtlich Lehrer, die Handyverbote. Hier wird in der Hauptsache kulturpessismistisch argumentiert: Das Handy als Zerstörer vom sozialen Miteinander.

„Nur den LehrerInnen ist es immer negativer aufgefallen, dass die SchülerInnen immer weniger miteinander, also den realen Personen vor Ort, kommunizieren, in den Gängen rumhängen und auf Displays schauen. Deshalb haben wir uns in der Pflicht gesehen, hier eine pädagogische Entscheidung zu treffen. . . . Wir haben hier entschieden, dass die freie Verfügbarkeit eines Handys die pädagogische Arbeit an unserer Schule gestört. Dieses Problem haben wir nun seit mehreren Jahren gelöst und können uns daher mehr auf andere Bereiche konzentrieren.“ (Kommentator 1 zit. nach Trauthig & Eberhardt, 2014)

„Und wärend [sic!] den Pausen hingen dutzende Schüler am Display und noch mehr hörten über Kopfhörer Musik. Soll das der Lernort Schule sein? Ein Ort ohne persönlicher Kommunkation [sic!], womöglich noch mit geringem Bewegungsanteil? Wir haben uns dagegen entschieden“ (Kommentator 2 zit. nach Trauthig & Eberhardt, 2014).

Allerdings werden auch Unterrichtspraktische Argumente aufgeführt:

„Seit dem Handyverbot auf unserem Schulgelände gibt es eigentlich keine Unterrichtsstörungen durch irgendein Klingeln, davor schon“ (Kommentator 2 zit. nach Trauthig & Eberhardt, 2014).

Oftmals wird ein Handyverbot nach einem Skandal eingeführt, der mit mobilen Endgeräten in irgendeiner Form zu tun hatte. An meinem Gymnasium wurde das Verbot eingeführt, nachdem Nacktfotos einer Schülerin kursierten, die sie ihrem Ex-Freund geschickt hatte. Am einem Berliner Gymnasium durften Mobiltelefone nicht mehr genutzt werden, nachdem sich ein Schüler dabei filmen ließ, wie er mit heruntergelassener Hose den Schulgang entlangflitzte. Die Aufnahmen landeten danach – ohne die Erlaubnis des Flitzers – im Netz (vgl. Klesmann, 2012). Doch auch die Lehrer selbst sind nicht sicher vor Handystreichen:

„Einmal ist auch ein Lehrer im Unterricht mit einem Smartphone heimlich gefilmt worden, während sich die Schüler offenbar absichtlich daneben benahmen“ (Klesmann, 2012).

Landen die Aufnahmen im Netz, ist der Ruf der Betroffenen meist ruiniert.

Der wissenschaftliche Diskurs

Doch auch in der Wissenschaft wird der Einsatz von Mobiltechnologien im Unterricht mit Skepsis betrachtet. Seipold (2013, S. 35) identifiziert hier zwei Argumentationslinien: Die kritisch-reflexive Argumentationslinie und die ethisch ausgerichtete Argumentationslinie.

Vertreter der kritisch-reflexiven Argumentationslinie lehnen eine allzu euphorische Haltung gegenüber mobilen Endgeräten ab. Zunächst strikt gegen den Einsatz von Mobiltechnologien im Schulalltag, entwickelten sich aus dem kritisch-reflexiven Forschungsumfeld Arbeitsgruppen heraus, welche vor allem medienpädagogische Aufklärungsangebote in Hinblick auf den Jugendmedienschutz zum Ziel haben. Die Kritisch-Reflexiven sind dabei keine strikten Handy-Gegner, vom schulischen Einsatz mobiler Endgeräte im großen Stil raten sie jedoch ab: „Sie favorisieren die Praxis der verantwortungsvollen Ermöglichung und tragen zu einer regulierten Akzeptanz mobiler Technologien in schulischen Kontexten und im Alltag bei“ (Seipold, 2013, S. 35).

Etwas näher an den Problemen der Lehrer sind die Vertreter der ethisch ausgerichteten Argumentationslinie. Hier stehen der Schutz der Persönlichkeitsrechte, aber auch „rechtliche Fragen zum Eigentum an Bild, Ton, Lernmaterialien etc.“ (Seipold, 2013, S. 35) im Mittelpunkt. Diese Argumentationslinie findet ihre Ursprüngen in dem oben beschriebenen Fehlverhalten der Schüler im Umgang mit mobilen Endgeräten: Schüler können die Konsequenzen eines Handystreichs und dessen virale Verbreitung nicht einschätzen. Darum scheinen die Schulen die Geräte lieber von vorneherein zu verbieten. Doch wo sollen Jugendliche denn Medienkompetenz erlernen, wenn nicht in der Schule!? Darum möchte die ethisch ausgerichtete Medienpädagogik praktikable Standards im Umgang mit Persönlichkeits- und Urheberrechten erarbeiten.

Die Einteilung der Skeptiker in zwei Argumentationslinien mag zwar für den wissenschaftlichen Diskurs ausreichend sein, es werden dabei jedoch nicht alle Zweifel der LehrerInnen in Hinblick auf den Einsatz von Handy und Co. im Unterricht berücksichtigt.

Die Ängste der LehrerInnen

Fasst man die Argumente der LehrerInnen und den wissenschaftlichen Diskurs zusammen, so lauern folgende Gefahren durch das Lernen mit mobilen Endgeräten:

1)    Störungen des Unterrichts (z. B. durch Klingeln, Nachrichtenschreiben etc.)
2)    Gefahr für das soziale Miteinander (z.B. wegen Displayfixierung)
3)    Verletzung von Persönlichkeitsrechten (durch Aufnahmen und deren virale Verbreitung)
4)    Cyber-Mobbing (z.B. durch Verbreitung von peinlichen Aufnahmen im Internet)
5)    Verletzung von Urheberrechten

Diese Gefahrenpotenziale lassen sich wiederum in die folgenden Problembereiche untergliedern:

  1. Sozialer Problembereich: z.B. Gefahr für das Soziale Miteinander, Cyber-Mobbing (in Anlehnung an Seipold, 2013, S. 35)
  2. Rechtlicher Problembereich: z.B. Verletzung von Persönlichkeitsrechten, Urheberrecht (in Anlehnung an Seipold, 2013, S. 35)
  3. Praktischer Problembereich: z.B. Störungen des Unterrichts durch Handyklingeln (siehe Trauthig und Eberhardt, 2014), unzureichende Infrastruktur (zu wenige Computer wie bei Straush, 2013), Umsetzung von Mobile Learning

Ziel des Blogs soll sein, bereits vorhandene Lösungen für die einzelnen Problembereiche zusammenzutragen oder gegebenenfalls erste Lösungsansätze zu erarbeiten. Doch zuallererst stellt sich die Frage, die sich vermutlich viele der LehrerInnen stellen werden: Lohnt sich der Aufwand? Die bisherigen Unterrichtsmethoden funktionieren doch ebenfalls. Brauchen wir wirklich eine neue Lernkultur mit mobilen Endgeräten?

Ein Gedanke zu “Geklingel, Display-Starren, Nacktfotos: „Soll das der Lernort Schule sein?“

  1. Liebe Franziska,
    die Art und Weise, wie Sie sich schrittweise an Ihre Fragestellung herantasten und dabei relevante Aspekte bereits erörtern, ist sehr sinnvoll und erscheint mir zielführend. Ihre Ausführungen zu den Problemen, die v.a. Lehrer_innen im Einsatz mobiler Endgeräte in der Schule sehen, sind nachvollziehbar und schlüssig.

    „Brauchen wir wirklich eine neue Lernkultur mit mobilen Endgeräten?“
    Bevor Sie diese Frage beantworten können, ist es wichtig, dass Sie noch einmal konkreter darauf eingehen, welche Aspekte diese „neue Lernkultur“ aus Ihrer Sicht umfasst (technische Ausstattung, Lernparadigma, etc.). Ich finde es sehr interessant, wie Sie die einzelnen Problembereiche der Nutzung mobiler Endgeräte im Lernraum Schule identifiziert und zusammengefasst haben und bin gespannt, wie Sie im weiteren Verlauf zu einer Lösung der Probleme finden werden – sofern es denn überhaupt einer „neuen Lernkultur“ bedarf.

    Viele Grüße,
    Kathrin Galley

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